Düsseldorf

Baukultur koordiniert Experten

© Andreas Meichsner
© Andreas Meichsner
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Wenn man in eine neue U-Bahn-Linie investiert, dann muss sie mehr sein als der reine Verkehrsweg. Eine solche Überlegung dürfte die Stadt Düsseldorf geleitet haben, als sie 2001 beim Wettbewerb für die neue Wehrhahn-Linie eine Kooperation von Architekten und Künstlern wünschte – Düsseldorf ist schließlich Kunst-Stadt. Es gewannen netzwerkarchitekten aus Darmstadt gemeinsam mit der Künstlerin Heike Klussmann. Damals wie heute durchaus überraschend: Das junge Team erhielt tatsächlich den Planungsauftrag. Der schließlich 2007 begonnene Tunnel ersetzt auf 3,4 Kilometern zwischen den S-Bahnhöfen Wehrhahn und Bilk eine Straßenbahntrasse. Weil fast die gesamte Strecke unter wichtigen Geschäftsstraßen liegt, galt es die Beeinträchtigungen gering zu halten. Im Bereich der Stationen wurde daher so bald wie möglich unter einem Deckel und ansonsten im Schildvortriebverfahren gearbeitet. Am Bahnhof Heinrich-Heine-Straße wird ein älterer U-Bahn-Tunnel gekreuzt, wobei der neue Bahnhof unter einem großen Warenhaus liegt. Auf Vorschlag des Baukonsortiums wurde hier mit einer – zwar teureren, aber oberflächenschonenden – Vereisung des Untergrunds gearbeitet.

Das Konzept von netzwerkarchitekten und Heike Klussmann begreift den Tunnel als „unterirdisches Kontinuum“ mit den Stationen als Aufweitungen. Für die dortigen Tunnelwände orientierten sich die Planer gestalterisch an den Stahlbeton- Tübbingen, mit denen Tunnelröhren hergestellt werden. Heike Klussmann entwickelte eine Innenschale mit einer Netzstruktur aus insgesamt 6.700 Rauten, die an eine Schlangenhaut erinnert. Das Muster verdichtet sich oder weitet sich auf, sodass das „Kontinuum“ optisch gestaucht oder gestreckt wird. Die Herstellung der teils unregelmäßigen, bewehrungslosen Betonplatten war anspruchsvoll – wegen der gewünschten Oberflächenqualität und der Exaktheit der Kanten, aber auch, weil sie die übliche Vandalismusbeständigkeit besitzen und revisionierbar sein sollten. Mit einem Gussverfahren wurden zunächst größere Platten produziert und dann zugeschnitten. Sehr kleine Rauten sind als Teil größerer Platten nur durch Scheinfugen separiert.

Dem horizontalen Raum der Röhre begegnen an den Stationen die vertikalen „Schnitträume“, die an die Oberfläche führen. Durch Einschnitte gelangt Tageslicht bis in die Bahnhöfe in 14 bis 18 Metern Tiefe, und es ergeben sich Blickbeziehungen und Orientierung über die Ebenen hinweg. Die Tiefe wird erlebbar, ohne als Angstraum empfunden zu werden. Für die Schnitträume jeder Station wurden 2002 mit einem Wettbewerb fünf weitere Künstler (neben Klussmann) ausgewählt. Ihre Arbeiten behandeln alle das Thema Bewegung, jedoch mit unterschiedlichen Materialien: als abstrahiertes Wegenetz im Boden, als kryptische Wortschlangen, als softwaregestützte Bearbeitung des Geschehens an der Oberfläche, als Wellenlinien auf Glas, als Video-Arbeit mit Blick ins Weltall oder als Klanginstallation.

Dass die Wehrhahnlinie nach ihrer Eröffnung 2016 breite Akzeptanz und sogar Bewunderung erfuhr, hat auch mit früh begonnenen Informationskampagnen für Anlieger und Öffentlichkeit zu tun. Mit einem hochwertigen Katalog, über Instagram und Presseinformationen wurde das Bauwerk bekannt gemacht. „The new metro represents a rare moment when people who never usually interact – city bureaucrats, engineers, architects and artists – create something bigger than themselves.“ So brachte „The Guardian“ die Gesamtleistung auf den Punkt: Koordiniert von den städtischen Ämtern für Verkehrsmanagement und Kultur konnten Bauingenieure, Architekten und Künstler bei Planungsgesprächen, Workshops oder 1:1-Bemusterungen voneinander lernen und ein wahres Baukunstwerk schaffen, bei dem Tunnelkonstruktion, Architektur und Kunst eine Einheit bilden. Das Ergebnis ist umso konsequenter, weil weder in den Stationen noch auf den Bahnen Werbung angebracht ist. Dass bisher nur wenige kleine Graffitis und keine Vandalismusschäden zu beseitigen waren, darf unbedingt als Auszeichnung verstanden werden.

Rubrik Infrastruktur
Projektbeteiligte

netzwerkarchitekten, Darmstadt; Heike Klussmann, Berlin; IGW Ingenieurgemeinschaft Wehrhahn, Düsseldorf

Planungszeitraum 2001-2016
Größe / Fläche 3,4 Kilometer Trassenlänge; 21.000 m2 Bruttogeschossfläche (BGF) Bahnhöfe
Baukosten 928,9 Mio. Euro (Gesamtprojekt), davon 428 Mio. Euro (Kostengruppe (KG) 200–700) für die Bahnhöfe, davon 3 Mio. Euro für Kunst
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