BAUKULTUR_IM_NETZWERK: Was kommt nach dem Aufbau Ost?

Schrumpfung und verlassene Ortskerne einerseits, neue Energielandschaften und das Erbe der DDR-Nachkriegsmoderne andererseits. Dieses Schicksal teilen viele ostdeutsche Städte und Dörfer. Rund fünfzig Baukulturexperten und Vertreter von Kommunen und Landkreisen aus ostdeutschen Bundesländern diskutieren am 1. November im Bauhaus Dessau über diese Herausforderungen. Zu dem Gespräch hatten die Bundesstiftung Baukultur und die Stiftung Bauhaus Dessau geladen.


„Wir müssen erkennbare Städte in einer globalisierten Welt schaffen“, eröffnete Arnold Bartetzky vom Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Osteuropas e.V. an der Universität Leipzig die Debatte. „Eine längerfristige Perspektive fehlt vielerorts“, so Bartetzky. Dem konnten die Städtebauer, Verkehrsplaner, Bürgermeister und Vertreter von Bürgerinitiativen, aus ostdeutschen Städten und Gemeinden nur zustimmen. Eine Tendenz des Stadtumbaus von außen nach innen sei zwar erkennbar. Das erfordere laut Bartetzky aber wiederum einen Konsens darüber, welche Gebäude erhaltenswert seien.


Ist der Ausbau der erneuerbaren Energien eine Chance für ostdeutsche Städte und Gemeinden? Können Stadt und Landschaft radikal umgestaltet werden? Wie viel Raum sollen die erneuerbaren Energien einnehmen? Und was heißt das konkret: Ein Rapsfeld mitten in Berlin, Windräder hinter dem Hauptbahnhof? Solche Bilder projizierte Susan Draeger vom Happold Ingenieurbüro an die Wand der Aula des Bauhauses Dessau. Die Bilder entstammten Studien zu Pilotprojekten, welche das Büro in Berlin plant. Gleichzeitig mahnte Draeger: „Oft machen wir den zweiten vor dem ersten Schritt. Bevor man sich mit erneuerbaren Energien beschäftigt, sollte man bei der Planung von Um- und Neubauten die Ressourcen- und Energieeffizienz im Auge behalten.“


Nach den Impulsvorträgen von Arnold Bartetzky und Susan Draeger diskutierten die Experten in Tischgesprächen über die Themen:

  • Das urbane Erbe der Ostmoderne: Bauten der Nachkriegszeit
  • Die Zukunft des baulichen Erbes im ländlichen Raum
  • Die räumlich-bauliche Dimension der Gewinnung regenerativer Ideen
  • Energetische Optimierung im baulichen Bestand


Im Plenum wurden die Ergebnisse aus den Tischgesprächen anschließend zusammengefasst. „Beim Thema Nachkriegsmoderne sind wir bestenfalls am Beginn einer Debatte“, berichtete Birgit Schmidt von der Wohnbund-Beratung Dessau über die Ergebnisse des ersten Tischgesprächs. „Es zeigt sich aber auch, dass der Aspekt der Nutzung der Bauten ganz zentral ist – ohne diese steht die Erhaltung vieler Gebäude aus der DDR-Zeit auf dem Spiel“, sagte Schmidt, die das Tischgespräch moderiert hatte.


Was kann man tun, um Gebäude im ländlichen Raum zu erhalten? Dies wurde an Tisch zwei erörtert. „Zum einen gilt es, klare Prioritäten zu formulieren – gleichzeitig sollen Gebäude, die durch das Raster fallen, nicht allein gelassen werden“, hielt Moderator Lutz Wülner von urbanizers Berlin, Büro für städtische Konzepte, fest. „In der Verwaltung und Politik muss mehr Bewusstsein für den Wert von Baukultur als nachhaltige und bürgernahe Ressource geschaffen werden – es gilt, die Fixierung der Politik auf Großprojekte zu unterbinden“, sagte Wülner.


Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien gehen visuelle Veränderungen von Bauten und Landschaften in Ostdeutschland einher – ein Konfliktfeld für Bürger oder nicht auch eine wirtschaftliche Chance für viele Orte? Lösungen wurden am dritten Tisch diskutiert. „Wir finden, das ist ein natürlicher Prozess“, resümierte Werner Bohnenschäfer vom Leipziger Institut für Energie GmbH das Tischgespräch. „Langfristig erwarten wir neue, kreative Formen der Gestaltung. Momentan befinden wir uns aber in einer Übergangsphase“, so Bohnenschäfer. Ästhetischen Ansprüchen könnten die Photovoltaikanlagen oder Windanlagen noch nicht gerecht werden. In Städten mit historischen Ortskernen sei besondere Sensibilität beim Einsatz regenerativer Energien geboten.


„Für die energetische Sanierung sehen wir die größten Potentiale im Gebäudebestand“, berichtete Achim Neuhäuser von der Berliner Energieagentur GmbH, der das vierte Gespräch moderiert hatte. Im Fall von verteilten Eigentümern und Mehrfamilienhäusern gelte es, noch viele Schwellen zu überwinden, um energetische Maßnahmen zu realisieren. Wichtig sei zudem die Qualitätssicherung. „Mit einem Zertifizierungssystem für Planer und Architekten könnte man energetische Maßnahmen für Investoren attraktiver machen“, fasste Neuhäuser einen Vorschlag aus dem Tischgespräch zusammen.


Nach regionalen Netzwerktreffen in Köln, Wolfsburg und Ulm bildete das Netzwerktreffen Ost in Dessau in diesem Jahr den Abschluss der Reihe „Eine Sprache für die Baukultur“, die 2012 mit einem bundesweiten Treffen fortgesetzt wird. „Mit unseren Netzwerktreffen wollen wir die Akteure zusammenbringen und helfen, eine gemeinsame Sprache zu finden“, sagte Michael Braum, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur.

„Die Stiftung Bauhaus Dessau versteht sich als Plattform für gesellschaftlich brisante Debatten und hat durch die IBA Stadtumbau 2010 eine Expertise für die Probleme schrumpfender Regionen in Ostdeutschland. Insofern ist die Frage, was unter Bedingungen der Schrumpfung aus Baudenkmälern wird, wie sie zu erhalten sind, von zentraler Bedeutung. Es wäre gut, wenn dieses Netzwerktreffen am Beginn einer neuen Diskussion steht“, so Philipp Oswalt, Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau.

Die Ergebnisse des Netzwerktreffens Ost werden in einer Publikation zusammengefasst, die im Dezember 2011 online auf www.bundesstiftung-baukultur.de erscheint. Die Bundesstiftung plant darüber hinaus für das kommende Jahr eine Buchpublikation, welche aus allen bisherigen Netzwerktreffen konkrete Handlungsempfehlungen für Baukulturinitiativen ableitet.




 

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