BAUKULTUR_VOR_ORT in Leipzig: Wie stadtgerecht ist verkehrsgerecht?

Die Bundesstiftung Baukultur will die Gestaltung von Verkehrsräumen und – orten deutschlandweit nach vorne bringen. Im Rahmen von BAUKULTUR_VOR_ORT in Leipzig am 27. Juni 2011 forderte sie mehr integrierte Planungsansätze und ganzheitliches Denken.


In Kooperation mit der Stadt Leipzig und in Zusammenarbeit mit ausgewählten Partnern vor Ort entwickelte die Bundesstiftung für den 27. Juni ein ganztägiges Programm zu der Frage „Wie stadtgerecht ist verkehrsgerecht?“, für das sie über 100 Interessierte begeistern konnte.


Mit dieser und zwei in diesem Jahr folgenden BAUKULTUR_VOR_ORT-Veranstaltungen möchte die Bundesstiftung Baukultur dazu beitragen, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, die Gestaltung und Planung von Verkehrsräumen als ganzheitliche städtebauliche Aufgabe zu verstehen. Das Ziel der Bundesstiftung ist es, eine bundesweite Diskussion mit Entscheidern aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung, Planungsbeteiligten sowie Interessenvertretern der verschiedenen Nutzergruppen und der Öffentlichkeit über eine neue Verkehrsbaukultur in Deutschland anzuregen.


„Ziel muss sein, statt Straßen- und Verkehrsräume, die ausschließlich von Funktionalität, Wirtschaftlichkeit und Sicherheitsdenken geprägt sind, wieder `Stadt zu entwerfen´. Gerade bei der Planung der Verkehrsinfrastruktur gilt es unterschiedliche Anforderungen in einem sinnfälligen Miteinander aus gestalterischen, gebrauchsorientierten, wirtschaftlichen und ökologischen Ansprüchen in einen sinnfälligen Bezug zueinander zu setzen. Baukultur muss endlich auch in unsere Verkehrsinfrastruktur einziehen“, fordert Michael Braum, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur.


An verschiedenen Orten setzte die ganztägige WANDERBAUSTELLE, eine performative Installation nach einem Konzept von Karo* Architekten, spielerische Impulse, um kritische Verkehrssituationen ins Bewusstsein der Bevölkerung zu rücken. Eine Gruppe von Schauspielschülern setze dabei die Alltäglichkeit in Szene und warf Fragen auf: Wie lässt sich ohne Fußgängerampel und trotz Handicap eine belebte Straße sicher queren? Wie kann ein Parkplatz zum Treffpunkt werden? Die WANDERBAUSTELLE im rot-weißen Dresscode half Alten über die Straße, besetzte Verkehrsinseln und klaute an ausgewählten Punkten der Straße Raum für temporäre öffentliche Nutzungen.


Die baukulTOUR, die von dem Spaziergangswissenschaftler Bertram Weisshaar (Atelier Latent) geleitet wurde, führte in drei Abschnitten zu ausgewählten Projekten in Leipzig und lud zum Gespräch mit Projektbeteiligten und Experten ein. Die ausgesuchten Orte standen dabei beispielhaft für Verkehrssituationen, die sich bundesweit finden und diskutieren lassen. Kritisch betrachtet wurden u.a. der innenstädtische Verkehr rund um den Hauptbahnhof –z.B. der aus den 1970er Jahren stammende Fußgängertunnel am Hotel Astoria, sowie die Gerberstraße. Positiv bewertet wurden die Lösung der Haltestelle am Zoo sowie das Mendelsohnufer als gutes Beispiel einer integrierten städtebaulichen Gestaltung. Weiterhin behandelt wurde das Thema Magistralen und Ausfallstraßen am Beispiel der Georg-Schumann-Straße in Leipzig Möckern.


Den Abschluss bildete die abendliche Diskussion im Anker mit Felix Huber (Bergische Universität, Wuppertal), Alfred Peter (Atelier Alfred Peter, Strasbourg), Hartmut H. Topp (R+T Topp, Huber-Erler, Hagedorn Darmstadt) und Martin zur Nedden (Bürgermeister und Beigeordneter für Stadtentwicklung und Bau der Stadt Leipzig), die von Michael Braum (Bundesstiftung Baukultur) moderiert wurde.


Martin zur Nedden stellte aktuelle Verkehrsprojekte in Leipzig, wie z.B. die Prager Straße, die Könneritzstraße und die Georg-Schumann-Straße, vor, ohne Situationen auszublenden, die sich derzeit in der Diskussion befinden, und unterstrich: „Wichtiger noch wäre die Diskussion um die Frage: 'Wie stadtgerecht ist fördergerecht?'. Denn ein maßgebliches Hindernis für integrierte Planungen liegt auch in unseren Förderrichtlinien, die Gelder sektoral für einzelne Verkehrsformen vergeben und so keine ganzheitlichen Lösungen ermöglichen.“


„Städte sollten wieder in die Lage versetzt werden, ihre Planungen aus eigenen Mitteln und nach eigenen Ansprüchen und Anforderungen umsetzen zu können. Städte brauchen wieder die Planungshoheit, um die wichtige Aufgabe integrierter Verkehrsplanungen ausführen zu können“, konstatierte Felix Huber. Im Rahmen seines Überblicks über mögliche Rahmenbedingungen für die integrierte Entwicklung städtischer Verkehrsräume regte er zudem eine frühzeitige Kooperation zwischen Städtebauern und Verkehrsplanern an, um individuelle, ortsspezifische Lösungen nach städtebaulichen Aspekten umzusetzen.


Auch Hartmut Topp unterstrich die Bedeutung interdisziplinärer Ansätze und regte zusätzlich an: "Um aus unseren Straßen lebenswerte Orte zu schaffen, sollten wir Begegnungszonen in die Straßenverkehrsordnung aufnehmen und mehr Innovation durch Wettbewerbe wagen. Ein Schlüssel für Verkehrsbaukultur ist außerdem, die Bürger in den Verfahren verstärkt, in sinnvoller Angemessenheit und zum richtigen Zeitpunkt zu beteiligen."


Alfred Peter brachte zum Abschluss Beispiele für gelungene integrative Planungen aus Frankreich in die Debatte ein (z.B. La Canebière, Marseille; Quais de la Garone, Bordeaux; Pont W. Churchill, Strasbourg) und machte Mut, das derzeitige Streben nach maximaler „Mobilität der Stadt“ zu einem Verständnis für die Bedeutung einer ganzheitlich gedachten „Stadt der Mobilität“ zu führen.
Mit der Veranstaltung BAUKULTUR_VOR_ORT in Karlsruhe wird die Debatte im Oktober 2011 fortgesetzt.

 


Bei der Nutzung der Fotos nennen Sie bitte folgenden Bildhinweis:

© Foto: Till Budde, Berlin
Die Referenten auf dem Podium sind v.l.n.r. Alfred Peter, Hartmut H. Topp, Martin zur Nedden, Bertram Weisshaar und Felix Huber, moderiert von Michael Braum.

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