Durchschnitt heben: mehr als 3 Zimmer, Küche, Bad

Wie kann die Durchschnittlichkeit des Wohnbaus ein Ende finden? 
So, dass gut geschnittene Typologien entstehen, die heutigen Herausforderungen gerecht werden? Mit „wie weiter wohnen? Baukultur im Klimawandel“ diskutierte die Bundesstiftung Baukultur am 22. Oktober 
in Berlin wegweisende Projekte aus dem In- und Ausland.


Wohnungsbau geht heute über die Realisierung von Dreizimmerwohnungen mit Balkon hinaus – so lautete das Fazit der Veranstaltung „wie weiter wohnen – Baukultur im Klimawandel“, die am 22. Oktober 2012 in Berlin stattfand. Über 150 Teilnehmer diskutierten die Herausforderungen an den Wohnbau auf einer baukulTOUR durch das Hansaviertel und einer anschließenden Podiumsdiskussion in der Akademie der Künste. Die Veranstaltung wurde im Rahmen der Netzwerkinitiative „wie weiter wohnen“ durchgeführt. Partner sind der GdW Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. und der Förderverein Bundesstiftung Baukultur e.V.


„Am besten kann man die Ansprüche, die heute an den Wohnungsbau gestellt werden reduzieren auf den Dreiklang Bezahlbarkeit, Sozialverträglichkeit und Energieeffizienz“, sagte Michael Braum, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur. Baukulturelle Aspekte blieben jedoch zu oft außen vor.


Mit einer baukulTOUR durch das Berliner Hansaviertel begaben sich die Teilnehmer auf die Spuren des Wohnbaus, der mit der INTERBAU in den 50er Jahren Maßstäbe gesetzt hat. Dabei befragte Thomas M. Krüger von Ticket B Anwohner über das fast 60-jährige Quartier. Von nicht mehr genutzten Gemeinschaftsräumen im Niemeyer-Haus, Konflikten zwischen Alt- und Neubewohnern, der Hansabücherei, die fast geschlossen worden wäre und vom Zerfall der Kaiser-Friedrich-Gedächtniskirche berichteten diese. „Ich wünsche mir, dass die Kirche als architektonisches Unikat erhalten bleibt, und man hier beispielhaft auch über sinnvolle Umnutzungen nachdenkt“, sagte Michael Braum.


Individuell und trotzdem bezahlbar


Auf der anschließenden Podiumsdiskussion in der Akademie der Künste im Hanseatenweg formulierten Vertreter unterschiedlicher Disziplinen ihre Erwartungen. „Die Formen des Zusammenlebens ändern sich. Ich sehe heute einen Bedarf nach flexiblen Grundrissen und neuen Nutzungen: ob Individualwohnung oder Wohnraum für soziale Gemeinschaften. Grundsätzlich gilt es, die Spielräume weiter zu öffnen“, so Sabine Djahanschah, Referentin bei der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) 
über Nachhaltigkeitskriterien. Die DBU fördert die Veranstaltung im Rahmen der Reihe „Baukultur im Klimawandel“.


Wie aber wird oder bleibt Wohnraum bezahlbar? Axel Gedaschko , Präsident des GdW Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen e.V. dazu: „Preiswerter Wohnraum darf nicht komplett saniert werden – auch über Teilsanierungen ist etwas machbar.“ Die im GdW organisierten Wohnungsunternehmen haben einen Bestand von rund sechs Millionen Wohnungen. Da gelte es abzuwägen: Was ist zumutbar? Was ist realisierbar?


Wohnungsbau ist auch Städtebau


wie weiter wohnen? Diese Frage dürfe auch den Städten nicht egal sein, lautete der Konsens auf dem Podium. Denn Wohnungsbau sei immer auch Städtebau, etwa dann, wenn es gelte, gemischte Quartiere und eine heterogene Nutzung zu fördern.


„Mit Baugemeinschaften kann man solche Ziele erreichen“, so Cord Soehlke, Baubürgermeister von Tübingen. Für sieben Quartiere trete die Stadt als Entwickler auf. Qualitative Kriterien würden über die Vergabe der Bauprojekte entscheiden: Dazu gehörten, ob das Projekt von einer Baugruppe oder einem Bauträger entwickelt wird, ob das Gebäude gewerblich genutzt wird und, wie es um soziale und energetische Aspekte steht. „Unsere Tübinger Baugemeinschaften haben den Weg aus der akademischen Nische geschafft. Sie sind mittlerweile in der breiten Gesellschaft angekommen“, erläuterte Söhlke.


Über den Wettbewerb „Ungewöhnlich Wohnen“ in Bremen berichtete Peter Stubbe, Vorstandsvorsitzender der Gewoba Aktiengesellschaft Wohnen und Bauen, die rund 41.000 Wohnungen und Gewerbeimmobilien verwaltet. „Wir haben Architekturbüros aufgefordert zu experimentellen Entwürfen zur Entwicklung von fünf Quartieren der 50er und 60er Jahre. Heute geht es darum, diese durch An- oder Neubauten aufzuwerten und die Gebäude damit auch barrierefrei zu gestalten“, sagte Stubbe.


Als Initiative, allerdings von Bürgern, stellte der Architekt Christian Schöningh, die Zusammenarbeiter, Berlin, das Projekt „Spreefeld Berlin“ vor. Direkt an der Spree plant und entwickelt eine Baugruppe einen Komplex von 67 Wohnungen im Passivhausstandard. „Das Grundstück steht zu 40 Prozent der Öffentlichkeit zur Verfügung und macht so auch den Spreeuferweg möglich“, sagte Schöningh. Zudem seien die Wohnungstypen und -größen unterschiedlich, so dass die Mietpreise sich letztendlich zwischen 8 und 13 Euro pro Quadratmeter bewegten.


Energiethema: Nicht nur für die Fassade wichtig



Vor zuviel technischen Spielereien warnte Thomas Jocher, Universität München. 
„Oft heißt es ,Wir bauen ein Passivhaus und dann passt des schoa!’ Da bin ich skeptisch. Die Investoren kriegen Bauchgrummeln, wenn sie sehen, wie hoch der technische Aufwand ist, um solche Häuser zu realisieren. Auch konzentrieren wir uns zu stark auf die Gebäudehülle. Mit einem guten Grundriss, guten Raumhöhen und Schnitten kann man auch in puncto Energie viel erreichen.“
Dass zu einem energieeffizienten Haus auch energiebewusste Bewohner gehören, erörtere Matthias Heinz von pool Architekten, Zürich. „Für das erste komplett nach den Prinzipien der 2000-Watt-Gesellschaft gebaute Haus haben wir Massivholz aus regionalen Wäldern verwendet. Nachhaltiges Bauen heißt auch, dass Bauteile, wie Fassaden, ausgewechselt werden können“, so Heinz. Wie man die Nutzer einbindet, stellte Heinz eindrucksvoll dar. Und so steht das Versprechen der Bewohner, ihren Energieverbrauch auf 2.000 Watt zu reduzieren, in großen Lettern an der Fassade 
des Hauses geschrieben.


Schließen sich Energiewende und bezahlbares Wohnen aus? Müssen wir ein Energieprekariat fürchten? Das fragt am 29. Oktober die neue Ausgabe des Debattenportals BKULT der Bundesstiftung, in der auch Referenten der Veranstaltung zu Wort kommen. 



Fotos: © Till Budde für die Bundesstiftung Baukultur
 

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