Versöhnung von Verkehr und Baukultur gefordert

Die Bundesstiftung Baukultur initiiert deutschlandweit eine Debatte über eine bessere Gestaltung von Verkehrsräumen. Im Rahmen von BAUKULTUR_VOR_ORT am 17. Oktober 2011 in Karlsruhe forderte die Stiftung neue Mobilitätskonzepte, um Verkehr und Baukultur zu versöhnen.


In Kooperation mit der Stadt Karlsruhe präsentierte die Bundesstiftung am 17. Oktober unter dem Motto „Wann ist Mobilität kultivierbar?“ ein Programm aus Stadtspaziergang „baukulTOUR“ und einer Podiumsdiskussion, für das sie rund hundert Baukulturinteressierte begeistern konnte.


„Bei allen Bemühungen um Beschleunigung: Wir wollen wieder `Stadt entwerfen´”, forderte Michael Braum, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur in Karlsruhe. „Mobilität zu kultivieren heißt derzeit noch den Tiger zu reiten. Das ist aber keinesfalls unmöglich.” Eine stärkere Berücksichtigung baukultureller Standards bei der Planung von Verkehrsräumen sei dringend geboten. Mit der Karlsruher BAUKULTUR_VOR_ORT-Veranstaltung und zwei weiteren Terminen in Leipzig und Frankfurt am Main setzt sich die Bundesstiftung dafür ein. Ziel ist, eine Diskussion über eine neue Verkehrsbaukultur in Deutschland mit Entscheidern aus Politik, Wirtschaft und Verwaltung, Planungsbeteiligten und der Öffentlichkeit anzuregen.
In der Karlsruher Innenstadt sorgten die beiden Künstler Hs Winkler und Tilman Neuffer tagsüber mit Interventionen für Bewegung im Stadtraum. Baustellen und Umleitungen sind die Karlsruher zwar gewohnt. Dennoch wurden sie an diesem Tag stutzig. So wuchs ein Schilderwald auf einer Fußgängerbrücke über die Kriegsstraße – die größte Verkehrsstraße der Stadt. Nur mühsam konnten sich Radfahrer und Eltern mit Kinderwagen hindurch schlängeln. In der Innenstadt warnte ein Schild bummelde Fußgänger:„Achtung Krötenwanderung” . Am Ettlinger Tor, der größten Baustelle der Stadt, lag ein Fahrrad am Wegesrand, daneben eine Kreidezeichnung, die Umrisse von Radfahrer und Auto auf der Straße zeigt.


„Im Stadtverkehr müssen die Schwächsten den Stärksten ausweichen. Die Schwächsten, das sind meist die Fußgänger. Fußgängerüberquerungen, wie die über die Kriegsstraße, verdeutlichten diese Situation” , erklärte der Architekturkritiker Benedikt Loderer . Er zeigte den Gästen der baukulTOUR die Brennpunkte des Nahverkehrs. „Der knappe Raum in der Stadt wird von – meist parkenden – Autos besetzt”, so Loderer, der die Gäste von einer weiteren Brücke auf eine Schlange parkender Wagen blicken ließ. "Verbunden damit ist eine Verlust an potentiellem Lebens- und Spielraum”, sagte Loderer. Spielstraßen wie die in der Nokkstraße, durch welche die Tour führte, wirkten da wie ein Relikt vergangener Zeiten.
Wie also die Mobilität kultivieren, wie den knappen Raum in der Stadt gerecht aufteilen, wie die Menschen zivilisieren?


Das debattierten bei der abendlichen Podiumsdiskussion der Ethnologe Wolfgang Kaschuba (Humboldt Universität zu Berlin), Michael Cramer (Mitglied des Europäischen Parlaments, Bündnis 90/DieGrünen), Wolfgang Rose (Automobilclub ACE Europa e.V.) und Peter Haimerl (peter haimerl.architektur) im Zentrum für Kunst und Medientechnologie. Die Diskussion wurde moderiert durch Michael Braum (Bundesstiftung Baukultur).


„Der Verkehr wird oft als Raumkampf missverstanden”, eröffnete Wolfgang Kaschuba die Diskussion. Um eine neue Verkehrskultur in den deutschen Städten zu schaffen, müsse ein kollektiver Geist in den Individualverkehr einziehen, bei dem Respekt und gegenseitige Rücksichtnahme der Verkehrsteilnehmer selbstverständlich seien. „Lange galt ,Freie Fahrt für freie Bürger!’ Wir müssen wieder lernen, dass wir uns mit anderen im Stadtraum bewegen”, sagte der Ethnologe.
Michael Cramer forderte eine Verlagerung der Mobilität hin zu mehr Fahrrad- und öffentlichem Nahverkehr: „Immerhin sind neunzig Prozent aller Autofahrten in den Städten kürzer als sechs Kilometer”, sagte Cramer. „Ohne eine Veränderung unseres Mobilitätsverhaltens werden wir den Klimawandel nicht stoppen können.” Noch sei der ökologische Verkehr aber zu teuer in Europa und das sei politisch gewollt. Cramer forderte ein Umdenken, nicht nur in der Politik, sondern auch in den Unternehmen. „Macht aus euren Autokonzernen Mobilitätskonzerne, um Ökonomie mit Ökologie zu verbinden!” 


Dialogbereit zeigte sich Wolfgang Rose als Vertreter des Automobilclub ACE Europa e.V.: „Ich habe nicht nur Benzin im Blut. Nach Jahrzehnten, in denen fast ausschließlich die Vorteile des Autos thematisiert wurden, benennen wir heute offen die Nachteile.” Dennoch müssten Kompromisse gefunden werden, die auch den Automobilverkehr berücksichtigen. „In einer alternden Gesellschaft wird der Autoverkehr eine wichtige Rolle spielen”, prognostizierte Rose.
„Der allgemeine Autokonsens macht es uns unmöglich über andere Formen der Mobilität zu diskutieren. Das Problem ist, dass wir in den achtziger Jahren vergessen haben neue Bilder zu schaffen. Wir wissen nur, was  nicht geht”, sagte Peter Heimerl. In seinem Vortrag stellte der Architekt Zukunftsvisionen für die Mobilität in europäischen Städten vor. Seine Idee umschrieb er wie folgt: „Alle drei Kilometer ein Bahnhof in der Stadt, der Güterverkehr findet unterirdisch statt und oberirdisch stehen viele neue Freiflächen zur Verfügung.”


 

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