"Es ist nicht egal, wie es aussieht" – Über den wahren Wert der Infrastruktur

© Till Budde

Keynote von Hanno Rauterberg, Journalist, Kunst- und Architekturkritiker, zum Konvent der Baukultur am 19. Juni 2024 in Potsdam

Vor einigen Jahren hatte ich das Vergnügen, ein Interview mit Norman Foster zu führen. Es ging in dem Gespräch, das am Genfer See stattfand, um dies und das, zum Beispiel um Fosters architektonische Grunderfahrungen als Kind und Jugendlicher. Es ging aber auch um Infrastruktur, und das fiel mir wieder ein, als ich diesen Vortrag vorbereitete, in dem es um die tiefere Bedeutung von Infrastruktur gehen soll. Foster sagte damals:
   “Viele Architekten interessieren sich für Architektur und nur für Architektur. Die müssen das Wort Infrastruktur nur hören, schon zucken sie zurück. Das sollen gefälligst die Stadtplaner machen, sie selbst wollen damit nichts zu tun haben. Doch was wären wir ohne Infrastruktur? Das kann jeder an sich selbst beobachten: Wenn Sie von Hamburg nach Genf reisen, was bestimmt denn dann Ihren Eindruck von der Stadt? Vor allem doch wohl die Art und Weise, in der Sie sich durch den städtischen Raum bewegen, ob es in diesem Raum laut ist, ob es stinkt oder ob Sie sich eingeladen fühlen. Auf die Architektur kommt es doch erst einmal nicht so sehr an.”
   Daraufhin fragte ich damals: “Wollen Sie etwa sagen, die Architekten nehmen sich selbst zu wichtig?”
   Foster: “Genau. Liebe Architekten der Welt, könnt ihr mich hören? Bitte nehmt euch selbst nicht so wichtig!”

Mal abgesehen von dem kleinen Nebenwiderspruch, dass Foster natürlich selbst zu jenen Architekten gehört, die ihre Bedeutung nicht gerade gering schätzen, finde ich seine Beobachtung doch bemerkenswert: Infrastruktur, um ihn noch einmal zu zitieren, Infrastruktur bestimmt unseren Eindruck eines Ortes. Infrastruktur entscheidet darüber, ob es dort “laut ist, ob es stinkt oder ob Sie sich eingeladen fühlen”.

Im Grunde sagt Foster damit etwas ganz Selbstverständliches. Etwas, das aber keineswegs selbstverständlich ist. Denn oft genug gilt Infrastruktur als etwas rein Technisches, ja Technokratisches, das muss halt funktionieren, muss günstig sein, effizient natürlich – und damit hat es sich. Eine seltsame Unterschätzung, so kommt es mir vor. Eine Unterschätzung, die von Geringschätzung kaum zu unterscheiden ist, und ich frage mich, woher diese Geringschätzung rührt.

“Infrastrukturen prägen Räume”, so ist der diesjährige Konvent überschrieben. Doch tun sie eben noch viel mehr als das. Sie prägen nicht nur Räume, sie prägen auch das gesellschaftliche Miteinander. Sie bestimmen mit darüber, wie Gesellschaften funktionieren. Wie sie über sich selbst denken. Welches Bewusstsein eine Gesellschaft von sich selbst entwickelt. Infrastrukturen prägen Räume, aber sie prägen ebenso das, was wir Gemeinsinn nennen, unsere Vorstellung von Zivilität, von Common Sense.

Umso irritierender, dass nicht viel häufiger über ihre Bedeutung gesprochen und debattiert wird. “Es ist nicht egal, wie es aussieht”, ist dieser Vortrag überschrieben. Ein Satz, der auch im aktuellen Bericht zur Baukultur vorkommt. Es ist nicht egal, das muss eigens betont werden. Warum? Weil es viel zu oft eben doch egal ist, wie Infrastrukturen aussehen und was sich in ihnen ausdrückt. Entsprechend sehen viele Städte und Landschaften aus: Vieles wird rücksichtslos hineingeknallt, ohne jeden Sinn für Form und Gestaltung. Dabei geht es ja bei Fragen des Aussehens, anders als man vielleicht denken könnte, nicht primär um etwas Äußerliches. Vielmehr drückt sich im Aussehen etwas aus, es kommt etwas zum Vorschein, und zwar der gesellschaftliche Wert, der ihnen zugrunde liegt.

Diesem zugrundeliegenden Wert, gewissermaßen der Infrastruktur der Infrastruktur, ihrem geistigen Fundament und ihren ästhetischen Dimensionen, geht dieser Vortrag nach. Erstens mit der Frage, woher die verbreitete Geringschätzung eigentlich kommt. Zweitens, welche Folgen diese Geringschätzung hat. Drittens, warum wir mehr Wertschätzung brauchen, für die Technik, für das was sie leistet. Damit aber auch mehr Wertschätzung für das, was uns, eine freiheitliche Gesellschaft, im Innersten ausmacht.
 

WESHALB die GERINGSCHÄTZUNG?

Wenn überhaupt über Infrastrukturen diskutiert wird, dann im Modus der Klage. Weil diese Brücke marode, jenes Abflussrohr undicht und überhaupt das Schienennetz vollkommen veraltet ist. Nie ist von dem Schatz der Infrastruktur die Rede, davon, dass es sich dabei um eine der erstaunlichsten Künste überhaupt handelt: um eine Kunst des kollektiven Wollens. Infrastruktur verdankt sich einem hohen Maß an gemeinschaftlicher Entschlusskraft, sie braucht eine Gesellschaft, die in die Zukunft hineindenkt. Eine Gesellschaft, die etwas antizipiert, das es noch nicht gibt, aber über Generationen hinweg von Bedeutung sein wird oder sein könnte. Es braucht ein handelndes Kollektiv, ein Denken, das den Egoismus überwindet. Infrastruktur, das heißt: alles für alle.

Diese Kunst der Teilhabe, das kann man so sagen, ist die Basis unserer modernen Freiheit. Infrastruktur entlastet uns: Wir müssen keinen Holzofen anheizen, um zu kochen, es reicht, den Herd anzustellen. Wir müssen nicht zum Brunnen laufen, wir brauchen nur den Hahn aufdrehen. Infrastruktur bedeutet: mir wird vieles abgenommen. Ich kann mich freier bewegen, weil es Brücken gibt und ich kein Boot benötige, um ans andere Ufer zu gelangen. Und zur Freiheit gehört auch, auf meinem Weg durch die Welt nicht permanent durch Fäkalien und Abwässer stapfen zu müssen, denn es gibt eine Infrastruktur, die mich davon freihält. Umgekehrt wäre das Leben ohne Infrastruktur im Grunde unerträglich, eingeengt, unwägbar, unfrei. Oder anders gesagt: Erst die Kunst der Teilhabe ermöglicht einer Mehrheit der Menschen ein gelöstes, emanzipiertes Dasein.

Ich muss das hier noch einmal in so pathetische Worte fassen, eben weil die Freiheitseffekte der Infrastruktur oft unterschlagen werden. Es gehört ja zu den eher unschönen Eigenschaften des Menschen, dass er sich an alles gewöhnt: an Unerträgliches, aber mehr noch an das Angenehme, das, was ihm Freiheit verleiht. Das Wasser kommt aus der Leitung, ist nehme es als selbstverständlich hin. Bis es eben nicht mehr läuft. Oder ich im Ausland merke, dass Leitungswasser auch ganz anders schmecken kann, nämlich nach Schwimmbad, schrecklich gechlort.

Wenn aber die Freiheit immer nur dann spürbar wird, wenn wir an ihre Grenzen geraten oder die Freiheit uns genommen wird, dann liegt leicht das Begrenzende und Beengende im Fokus. Und damit wiederum geht leicht eine kränkende Wirkung einher. Denn nichts missfällt dem modernen Individuum mehr als die Erfahrung der Abhängigkeit. Das Individuum möchte sich als autonom erleben, als souverän. Die Infrastruktur ermöglicht ihm diese Erfahrung der Souveränität, denn wie gesagt: Sie nimmt ihm vieles ab.

Allerdings – das ist das Paradox – hat diese Souveränität einen Preis: Es ist eine Souveränität der Einbindung und des Anschlusses. Und das durchaus im wortwörtlichen Sinn: Nur wer sich anschließt ans Strom- oder Wassernetz, kann die Vorteile der Infrastruktur, ihre befreienden Effekte wahrnehmen. Funktionieren sie aber nicht, ist das Abhängigkeitsgefühl umso größer. Die Freiheit wird als Unfreiheit erfahren.

Das lässt sich anhand der Digitaltechnik besonder plastisch zeigen. Seitdem diese Technik omnipräsent geworden ist, hat sich das moderne Alles-Überall-und-Immer-Denken deutlich verstärkt, also die Erwartung der totalen, flächendecken Verfügbarkeit – und einer Infrastruktur, die eine solche Verfügbarkeit ermöglicht. Es wird als selbstverständlich begriffen, dass ich per Internet unausgesetzt Zugriff habe: auf Filme, Bücher, Musik, aber ebenso auf andere Menschen. Und ihre Erreichbarkeit wird keineswegs nur in einem technischen, sondern auch in einem psychosozialen Sinn vorausgesetzt – Always-on heißt die Devise.

Technik ist eben nicht nur Technik, sie prägt auch die Umgangsformen und unseren Blick auf uns selbst, auf andere, auf die Welt. Was ist noch privat, was ist öffentlich? Die einst klare Grenze ist durch die Einführung des Mobiltelefons durchlässig geworden, fast ist sie verschwunden. Denn die Geräte entbinden uns, wir sind gelöst von allen Kabeln und in diesem Sinne entfesselt. Zugleich sind wir nun, auf ungebundene Weise, permanent angebunden, die Freiheit erzeugt neue Zwänge – und verändert somit die Art und Weise, wie wir uns in der Welt erfahren.

In dem Maße aber, in dem die Technik diese Erfahrung verwandelt, ist sie nichts mehr, was nur außerhalb unserer selbst liegt, sie ist nicht bloß Infra-, sie ist auch Intrastruktur. Wir haben ihre Möglichkeiten verinnerlicht, die Technik wird ein Teil von uns: Sie prägt und bestimmt unsere Lebensweise. Was jedoch passiert, wenn dieser Bestandteil mit einem Mal nicht mehr tut, was er eben noch ganz selbstverständlich tat?

Dann geht es nicht bloß um technische Defizite, nicht allein darum, dass bestimmte Dinge nicht funktionieren, wie sie funktionieren sollten. Denn wenn die Technik nicht länger etwas nur Äußerliches ist, sondern in wachsendem Maße mein Leben bestimmt und ausmacht, dann erscheint das Versagen der Technik und der ihr zugrundliegenden Infrastruktur zugleich als ein Versagen der eigenen Lebensweise. Funktioniert sie nicht, funktioniere ich nicht, das wäre die untergründige Empfindung. Jede Störung wird als Störung unseres Seins verstanden, denn die Technik, ihre Infrastruktur, hat ja dieses Sein, diese Lebensweise erst hervorgebracht.
 

ZWEITE FRAGE: Die Folgen der Geringschätzung

Und damit sind wir bei der zweiten Frage, bei den Folgen der Geringschätzung. Diese Folgen zeigen sich nicht allein in der wachsenden Wut mancher Zeitgenossen auf die Technik, auf das Versagen der Infrastruktur. Es ist häufig auch eine Wut auf das Gemeinwesen, das diese Infrastruktur erst ermöglicht hat. Und weil sich in der Dysfunktionalität der Infrastruktur zugleich die Dysfunktionalität dieses Gemeinwesens zu zeigen scheint, gerät die Wut rasch zur Systemkritik. Und niemand muss sich wundern, dass sich in der Folge erschreckend viele Zeitgenossen von der Demokratie abwenden und autoritäre Populisten für attraktiv halten, die vorgeben, das System wieder stark machen zu wollen, eine funktionierende Infrastruktur inklusive.

Hier, in dieser gesellschaftspolitischen Aufladung technischer Fragen, zeigt sich, dass die Geringschätzung nicht allein auf individuelle Gewöhnungseffekte zurückgeht, auch nicht nur auf das Souveränitätsparadox. Sie hat ganz wesentlich auch etwas mit einer wachsenen Fortschrittsverdrossenheit zu tun. Einer Verdrossenheit, die schon deshalb die Infrastruktur einschließt, weil sich diese der Idee des Fortschritts verdankt.

Dass sie im 19. Jahrhundert stetig heranwachsen konnte, wäre ohne die bürgerliche, demokratisch gesinnte Gesellschaft nicht denkbar gewesen. Diese Gesellschaft verstand sich als eigenmächtig, verstand die Zukunft als formbar – und als Verheißung. Das Morgen würde besser sein als das Heute, dessen war man sich gewiss, und Infrastruktur würde dieses bessere Leben ermöglichen. Heute wird das bekanntlich von vielen anders wahrgenommen: Wenn das Wort Infrastruktur fällt, ist das Wort Krise nicht fern. Nicht nur weil sie oft als baulicher Pflegefall gilt – gerade heißt es wieder, es gebe einen Investitionsstau von 400 Milliarden Euro. Sondern auch, weil das Fortschrittsversprechen, dem sich die Infrastruktur verdankt, schon lange nicht mehr so schön funkelt wie einst.

Lange war Infrastruktur dasselbe wie technischer Fortschritt, und technischer Fortschritt der Inbegriff eines besseren Lebens, heller, schneller, sicherer. “Ingenieurbauwerke sind zivilisatorische Leistungen, die dem Fortschritt verpflichtet sind”, so heißt es im aktuellen Bericht der Baukulturstiftung. Was aber, wenn Fortschritt nicht länger als Fortschritt erfahren wird? Weil vielen Menschen nun die unendlichen Kosten des Fortschritts klar vor Augen stehen: Halbe Erdteile wurden ausgebeutet, die Natur wurde nach Kräften verseucht und verschmutzt, das Klima derart strapaziert, dass eine Überhitzung der Atmosphäre droht und das Leben vielen Zeitgenossen nicht länger lebenswert erscheint. »Alle Befreiungen, die die Moderne seit ihrem Beginn hervorgebracht hat, haben sich – früher oder später – ins Gegenteil verkehrt«, schreibt der Philosoph Christoph Menke. »Sie haben neue Zwänge, neue Ordnungen der Abhängigkeit und Knechtschaft hervorgebracht.«

Selbst wenn man das für übertrieben hält, ist der Wachstums- und Fortschrittsimperativ über die Jahre doch erstaunlich hohl und steril geworden. Das zeigt sich exemplarisch an der großen Transformationsdiskussion: Überall werden Windräder in die Landschaft gestellt, überall verschwinden Dächer, Balkone, neuerdings auch Zäune unter schwarzen PV-Platten – wozu aber die gewaltige Kraftanstrengung? Nicht, damit ein anderes, besseres Leben möglich wird. Nein, es geht allein darum, den Status Quo zu wahren. Infrastruktur rückt in den Mittelpunkt, ins Sichtfeld aller, doch geht damit allein die Verheißung einher, dass der Strom künftig sauber und klimaschonend gewonnen wird. Darüber kann man sich freuen, keine Frage. Aber zielt die Tranformation am Ende doch allein darauf, dass wir so weiterleben können wie bisher – auf einen Fortschritt ohne Fortschritt.

Entsprechend geht es in den Debatten um Infrastruktur, wenn es denn solche Debatten gibt, ganz selten nur um Beschleunigung und Öffnung, um eine Ausweitung der Freiheit. Es geht viel mehr um Eindämmung: darum, wie sich verhindern lässt, dass noch mehr Fortschritt (etwa im globalen Süden) in noch mehr Krisen mündet. Es geht um Abwehr und Abweisung: von weiterer Verschmutzung, von Hochwasser, von Cyberattacken, vor allem natürlich um die Abmilderung des Klimawandels. Die Zukunft ist nicht mehr offen, denn von dort kommt uns die Vergangenheit entgegen. Fortschritt heißt, die Gegenwart einzuhegen – damit sie so wenig wie möglich hinüberlappt ins Zukünftige.

Beide, Fortschritt und Infrastruktur, traten in der Moderne stets als Zwillinge auf. Und so ist es nicht weiter überraschend, dass sie jetzt unter denselben Folgen leiden. Mit der Fortschrittsskepsis ist auch die befreiende Idee der Infrastruktur in Misskredit geraten.

Wenn Infrastruktur nicht mehr der Inbegriff eines Zugewinns ist, sondern einer Verlustabwehr, dann muss sich niemand wundern, dass die Verdrossenheit wächst. Denn das, was wir Gemeinwesen nennen, lässt sich ohne ein gewisses Maß an Zuversicht kaum denken. Es braucht Menschen, die nicht nur aus der Defensive heraus handeln, sondern ins Offensive gehen. Doch woher sollte eine solche Zuversicht kommen?

Wir leben bekanntlich in einer hochtechnisierten Welt. Je weniger diese Technik aber einen Weg ins Offene weist und als ein Versprechen auf mehr Wohlstand, mehr Sicherheit, mehr Freiheit empfunden wird, desto stärker wird das allgemeine Verlust- und Versagensempfinden.

Aus all dem resultiert die Reizbarkeit, die viele verspüren und die auch die Wahlergebnisse prägt: dieses Gefühl der Entfremdung – eine Gesellschaft, die ihrem Selbstverständnis nach auf Zugewinn, auf wachsende Freiheit gebaut war, gerät an ihre Grenzen. Und jede Debatte um Infrastrukturen berührt diese Grenzen.
 

DRITTENS: Was also muss sich ändern?

Es gibt, wie ich es sehe, zwei Möglichkeiten: entweder das Wohlstands- und Wachstumsdenken fortzusetzen – mit noch mehr, noch besserer Infrastruktur als Treiber dieser Entwicklung. Vor allem die Idee der Smart City will diesen Weg gehen: Optimierung, noch bessere Regulierung, Vorsprung durch digitale Technik, inklusive einer möglichst totalen Überwachung alle Lebensregungen. Es ist das Denken, das uns in die jetzige Krise hineinmanövriert hat.

Der andere Weg wäre eine Abkehr vom bisherigen Denken: ein Umpolen, eine Transformation, die tatsächlich nicht nur Innovationen im herkömmlichen Sinn hervorbringt, sondern auch ein anderes Bewusstsein. Und damit zugleich ein anderes Bewusstsein für Infrastrukturen und nicht zuletzt für die Frage, warum es nicht egal ist, wie sie aussehen.

Im Umgang mit der Natur erleben wir gerade, wie schwierig eine solche Neubestimmung unserer Lebensgrundlagen ist. Natur soll und kann nicht länger das sein, was uns nach Belieben zur Verfügung steht. Nicht länger eine Ressource, die unausschöpflich scheint und die wir ausbeuten dürfen. Ähnlich verhält es sich mit der Technik, der Infrastruktur, die uns zur zweiten Natur geworden ist. Auch sie wurde immer als Mittel zum Zweck verstanden, ohne Eigenwert, ohne Eigenlogik, allein darauf ausgerichtet, den Fortschritt und damit die Freiheit voranzutreiben. Auch hier, wie im Umgang mit der Natur, braucht es deshalb eine andere Bestimmung: eine andere Vorstellung ihres Eigenwerts, ihrer Würde.

Ich weiß, es hört sich seltsam an, von der Würde der Infrastruktur zu sprechen. Sie soll gefälligst funktionieren, soll billig sein, flexibel, kurz: Sie soll dem Menschen dienen, dafür gibt es sie. Und doch ist Würde in meinen Augen ein hilfreicher Begriff. Denn er öffnet uns die Augen für das, was gerade grundfalsch läuft und zu der beschriebenen und völlig zurecht beklagten Geringsschätzung beiträgt. Wir pflegen ein instrumentelles Verhältnis zur Technik. Und damit auch zu uns selbst. Denn die Technik ist, wie eben schon gesagt, nicht das ganz Andere, vielmehr ist sie ein Teil von uns, sie bestimmt unseren Blick auf die Welt und auf das, was unser Leben ausmacht. Wenn wir also die Technik und mit ihr die Infrastruktur nur unter funktionellen Gesichtspunkten betrachten, betrachten wir auch uns selbst unter funktionellen Gesichtspunkten. Fragen wir aber nach ihrer Würde, fragen wir auch nach dem, was unser Leben würdevoll macht.

Wer sich also nach einem möglichst freien, unentfremdeten, unverzweckten Leben sehnt, wird auch sein Verhältnis zur Infrastruktur überdenken müssen. Und diese, das wäre mein Vorschlag, als wertvoll aus sich selbst heraus betrachten. Ebenso mit Dankbarkeit. Vielleicht sogar mit Demut, um auch diesen altertümlichen Begriff zu bemühen. Und wird es schon deshalb ganz und gar nicht egal finden, wie etwas aussieht, weil sich in diesem Aussehen ja zum einen spiegelt, welche Wertschätzung wir der Technik entgegenbringen. Und das Aussehen zum anderen auch etwas darüber aussagt, was wir von dem Gemeinwesen halten, das von dieser Technik gespeist und versorgt wird. Die Frage ist also, wie uns die Technik aussehen lässt, wenn sie nach nichts aussieht. Und ob wir uns dieses gesellschaftliche Nichts in Zeiten identitätspolitischer Verwerfungen und nationalistischer Aufwallungen weiterhin leisten wollen.

Ich weiß schon, das ist ein fremder, vielleicht auch befremdlicher Gedanke, weil wir uns seit dem 19. Jahrhundert daran gewöhnt haben, die Kunst der Infrastruktur bloß als dienend zu begreifen. Immer schufen Ingenieure, schufen Techniker die Grundlagen von allem. Doch das Eigentliche, so wurde es in aller Regel gesehen, verwirklichen andere, allen voran die Architekten, die sich die Technik zunutze machen. Und das ist falsch, da sind wir wieder bei dem eingangs zitierten Norman Foster.

Erst das blanke Zunutzemachen, würde ich argumentieren, entwertet die Infrastruktur, entwürdigt sie. Und schon deshalb muss der ästhetische Reiz an Bedeutung gewinnen. Denn das ist ja mit dem Begriff Ästhetik gemeint: Er bedeutet Wahrnehmung. Die Infrastruktur zu ästhetisieren heißt also nicht, sie vordergründig aufzuhübschen, sie irgendwie schön oder zumindest optisch erträglich aussehen zu lassen. Es heißt, sie mit Wertschätzung und Neugier betrachten zu wollen. Ihre oft übersehene Leistung endlich anzuerkennen. Und diese Anerkennung nicht nur einzelnen Erfindern oder Ingenieuren zuteil werden zu lassen, sondern sie auch als Anerkennung einer Gesellschaft zu verstehen, die sich selbst darin erkennt – und sich selber wertvoll wird.

Denn ja, Infrastruktur dient der Daseinsfürsorge. Warum aber wird Daseinsfürsorge allein als etwas Materielles verstanden? Wenn wir Technik anders denken, anders betrachten, könnten wir auch die immateriellen Werte der Daseinsfürsorge in den Blick nehmen. Und also auch darüber debattieren, wie sich Infrastruktur auf unser Wirklichkeitsempfinden auswirkt, auf die “mentalen Infrastrukturen”, wie sie der Sozialphilosoph Harald Welzer einmal genannt hat. Also auf das, was wir wertschätzen und was uns als Kollektiv verbindet oder vorsichtiger: verbinden könnte.

Was aber passiert, wenn wir weitermachen wie bisher? Wenn Infrastruktur als etwas Notwendiges, aber tendenziell Lästiges und Teures und Kompliziertes missverstanden wird – immer irgendwie kaputt, immer teuer, immer kompliziert? Dann setzt sich das Egodenken fort, das ohnehin eine zersetzende Wirkung auf unser demokratisches Gemeinwesen hat.

Allein auf Technik zu bauen, auf einen rein funktional bestimmten Technikbegriff, führt in die Irre. Anders gesagt: dorthin, wo wir uns ohnehin schon befinden. Was soll uns die Infrastruktur interessieren, wenn sich die Infrastruktur nicht für uns und nicht für sich selbst interessiert? Woher soll die erhoffte Wertschätzung kommen, wenn sie ihren Wert nicht selbst zum Ausdruck bringt, sondern sich, wenn es hochkommt, mit einer Ästhetik der Indifferenz begnügt? Eine solche Infrastruktur der Nicht- und Null-Wahrnehmung erzeugt in der Folge eine Indifferenz zur Welt, und also muss es niemanden wundern, wenn sich auch die Menschen indifferent verhalten, wenn sie nicht länger zugänglich sind für alles, was Zukunft war und wieder sein könnte.

Erst eine Infrastruktur, die sich selbst wichtig nimmt, die nicht nur der alten Formel vom Schneller, Höher, Größer verpflichtet ist, wird ihrer wahren Bedeutung gerecht. Und kann erst dann die Verbundenheit und Verbindlichkeit hervorbringen, der sie sich verdankt.

Nach oben